forget everything and remember

28 / 03 / 07

Pilzbodensätze


Wir gingen dann in den Park und setzten uns auf einen Hügel, um die unlauteren Gewächse zu essen, die wir vorher unter einem Ladentisch in einer anderen Straße gepflückt hatten. Der Park war grün, und am Anfang saßen wir auf einer Insel, auf der junge blonde Männer mit haarlosen Oberkörpern in hochgekrempelten Jeans Boule spielten und der Sonne jeden Schein abzehrten. Sie bewegten sich wie bronzene Statuen und schauten geschmeidig umher, ob auch einejede gucke und auch ob einjeder hinschaue, denn sie ließen die Kugeln rollen, als wären sie leicht wie Bälle aus Federn.
Wir hielten es nicht mehr aus und bekamen einen irren Lachanfall nach dem anderen und warteten eigentlich nur darauf, die Metallkugeln auf unseren Gesichtsknochen zu spüren, weil die Statuen sich sichtlich ausgelacht fühlen mussten. Doch dafür waren sie zu erhaben und eitel genug, denn sie schauten umher, ob einejede gucke. Und unlauter wie wir waren, erhoben wir uns aus dem Inselgrün und wünschten den beiden noch einen schönen Tag und spazierten vondannen.

Das fließende Sonnengold der Insel ließen wir zurück. Als wir die Brücke überschritten hatten, war da keine Sonne mehr. Nur gleißendes Blau, dass das Baumgrün bräunte und später dann Beerenbüsche, deren Früchte uns neonrot anschrieen, weil sie nicht gepflückt werden wollten, wir hatten das auch gar nicht vor, denn das Schwefelgelb der Lichtung ließ unsere Augen in den Himmel wachsen, auf dem die soeben geschmolzene Sonne Feuerschweife spuckte, deren Röte im Ende der Zeiten züngelte.
Es wurde Zeit zu gehen und einen Weg zu finden, der uns an vertraute Stätten führen sollte, doch als der Weg uns gefunden hatte, wussten wir schon nicht mehr wer wir waren, und wir ließen uns im Schatten des Denkmals auf einem anderen Hügel in einem anderen Park nieder und sprachen grau über Sartre und Camus, als ob wir ihre Bücher geschrieben hätten. Und dabei fühlten wir uns selbst nicht mehr, denn um uns herum war nichts. Am Ende rauchten wir grün und waren froh darüber, nicht allein zu sein.





yo la tengo - autumn sweater

03 / 03 / 07

Rosa Rauschen


Mit Sechzehn nahmen mich meine Eltern nach Berlin mit, die Mauer stand gerade noch. Deswegen hatte ich ein wenig Angst. Nicht vor der Mauer, vor dem ostdeutschen Personal an der Grenze, das im allgemeinen als sehr pflichtbewusst, eventuell sogar übereifrig und neugierig galt. Es wurde einiges über Kofferräume und mehr erzählt.

Später in einer Seitenstraße des Kurfürstendamms in einem Hotel ein Zimmer, in dem das Licht braun auf gelbe Tapeten schien, deren Muster ich vergessen habe. Und es roch grün und braun und auch etwas grau nach zurückgelassenen Lebensbruchteilen, die modernd aus Ritzen und Polstern hervor krochen. Die Heizung, sie rasselte. Knackte wie ein verzogenes Uhrwerk taktlos und gemein, von unbeendeten Geschichten vergangener Nächte ruhelos getrieben. Da halfen auch kein Tritt und kein Drehen an der Schraube, die Heizung knackte nur noch mehr und flüsterte laut und deutlich von Einaktern unter den Lichtern der Straße.
Jedes Knacken ein Vorhang, neue Szene, schneller, lauter, tiefer. Schnitt. Straße dann. Ohne Ziel lasse ich mich über den Kudamm treiben, erinnerungslos, weil die Lichter mir nichts von einer Vergangenheit erzählen können. Es ist das erste Mal.

Ich kaufe Bier und schwebe von den Lichtern der opulenten Schaufensterauslagen zu den Leuchten unbezahlbarer Karossen, die ich nur aus Film und Fernsehen kenne und schwimme im Lichtermeer, vollkommen befreit von meinem Leben, in dem ich am vorigen Abend noch beim gemeinschaftlichen Gebet in der Jugendgruppe in den Augen eines Mädchens mit einem rosa Pulli ertrank, weil es so einiges gab, wofür es sich beten ließ.
Und zwischen den Stellkästen auf der Promenade: Beine in hautengem Rosa, auf dem sich die Lichter der Autos brechen, eine Jeansjacke in weißem Kurzundknapp unter goldgelben Haar, dessen Haarsprayglitzer mich hinabzieht, tiefer, tief in das Meer der Träume.
Ich bin sechzehn und habe nur mein Taschengeld und später in einem Zimmer in einem Hotel, in dem es grün und gelb und braun dunkelte, rauschte die Heizung in rosa und weiß.
Und knackte unaufhörlich.

25 / 02 / 07

Im Polstergrün





Und einmal da standen sie bei ihr im elterlichen Wohnzimmer und vergaßen ihre gute Stube und nicht ein Wort fiel und sogar ihr Lachen verlief sich im schweren Polstergrün, in dem sie vor Blicken geborgen bleiben wollten bis zum Morgen.

Ein anderes Mal zeigte sie ihm Fotos mit Pferden und mit Kühen drauf und seine Augen verfingen sich alsbald in ihren schwarzen Locken und hörten nicht, wie sie mit den vergangenen Tieren und den lebenden Gemälden sprach.
Und er zeigte ihr Fotos mit Altaren und Talaren drauf und ihre Ohren versanken in seinen Händen und sahen nicht, wie er mit den vergangenen Kreuzen und den lebenden Büchern sprach.

Im blickdichten Polstergrün, dessen warme Schwere das Licht verdichtete, verstanden sie sich wortlos, sie konnten sich gut riechen.

Und an einem Morgen, da regnete es einen schlechten Film in einer unverständlichen Sprache und sie gingen ihrer auseinandergeliebten Wege.

Und später noch, da begegneten sie sich noch einmal in einer anderen Stadt und noch ein letztes Mal berührten sich ihre Nasen.

18 / 02 / 07

Möchten Sie ein E kaufen?


Er hatte mal ein E verkauft. Nachdem er es auf einer Straße in Hildesheim gefunden hatte. Ein sauberes E in Arial black, DIN A4, ganz und gar ein glattes glänzendes E, nicht zerknittert. Es war ein KampagnenE, eines der Sorte Buchstaben, die in Hochglanzblättern auf mehrseitigen Kampagnen für ein neues unbedingt begehrenswertes Produkt herhalten müssen, eines der Kategorie E-Klasse oder Egoiste, beide ohne das E nicht sie selbst und nicht so glatt.
E-Klasse klingt nach Erhabenheit, Eloquenz und Eitelkeit, nicht so ergeben wie A-Klasse, die einfach nur nach Auto klingt. Nicht nach Ästhetik. Abfall hat seine eigene Ästhetik, Schimmel auch, aber die A-Klasse ist ohne Ästhetik und nichts für einen nach Egoiste riechenden E-Mann, der treibendes Benzin unter seinem A spüren will. Nun ist die E-Klasse inzwischen etwas aus der Mode gekommen und zeitgemäße E-Männer fahren wieder verstärkt BMW, doch das Egoiste bleibt, ist charakterfest und zeitlos.
Mit Egoisten verhält es sich nämlich so: sie können nicht ohne E. E potenziert das Ego, dafür lieben sie es, dafür leben sie es. Sie brauchen das E, weil es den Eigengeruch der Eitelkeit hinter dem Duft von Erhabenheit und Eloquenz vernebelt und verschleiert. E wirkt effizient, Egoismus im allgemeinen ist sehr effizient.

Er hatte mal ein E verschenkt, nachdem er es auf einer Straße gefunden hatte. An einen traurigen kleinen Jungen auf einer Straße in Hildesheim. Gefreut hat er sich, der kleine Junge, denn nun hatte er ein schönes großes E auf einer DIN A4-Seite in arial black.
Und später benutzte er auch ab und zu mal Egoiste. In Maßen.

12 / 02 / 07

Verwählt


Sie hat mich manchmal angerufen, am Abend, wenn es Sommer war und die Fledermaus durch die offenen Fenster im Innenhof huschte. Am Abend, wenn Ginsberg und Burroughs Lee und Thurston in die Hälse bissen und ihre Gitarren zum Bluten brachten, war es Sommer in der Schwärze einer Telefonmuschel, deren Biss mein Ohr so gern erlag.

Eine Szene aus allen französischen Filmen aus dem öffentlich-rechtlichen Nachtprogramm. Verwählt. Eine Nummer einer gemeinsamen Bekannten ohne dass wir uns kannten führte sie zu mir und ließ sie erzählen, reden und schweigen. Manchmal hat sie mich angerufen, sie hat sich manchmal am Abend verwählt, wenn die Dunkelheit sie zum Hörer greifen und erzählen ließ.

Zwei Unbekannte mit einer gemeinsamen Bekannten, auf deren Party sie ihren neuen Freund kennengelernt hatte, der meinen Namen trug und die gleichen Instrumente spielte.

Nur eine Stimme.

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sonic youth - karen koltrane / small flowers crack concrete

06 / 02 / 07

Delay


In der letzten Nacht träumte ich von Dir und schaute heute in Dein Gesicht und fand keinen Traum.
Nur eine Erinnerung, wie ich mir einbilde.
Für einen Moment nur.
Einen nur.

Erinnern.
Hallendes Nichts.


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black sabbath - fairies wear boots

04 / 02 / 07

Kassettenmenschen


Autofahren, Autofahren, Autofahrer haben spezielle Compilations, die ihnen das Autofahren verschönern. Früher hieß das Mixkassette. Oder überhaupt Kassette, Kassetten wurden zu jedem Anlass hergestellt, sei es für die nächtliche Fahrt zur Dorfdisco, die je nach Standort des Stalls bis zu einer Stunde dauern konnte. Die Orte hießen dann zum Beispiel Hützel oder Riepe - oder wenn es uns furchtbar langweilig war, Wehldorf - und je nach Ortswahl wurde im Auto das Hützel- oder Riepe-tape (für Wehldorf gab es keines) gehört, wegen Einstimmen und so.

Oder sei es für die tägliche Fahrt zur Schule, die in meiner Abizeit zu den Highlights des Schultages gehörte, weil unser Chauffeur zwischen zerfetzten Tabakbeuteln, Papers und allerlei ranzigen Fastfoodverpackungen stets wunderbare Kassetten im Handschuhfach zu liegen hatte. Die Macht über die Auswahl des Guten-Morgen-tapes hatte allerdings unser Chauffeur, der je nach psychischer Verfassung entweder das Sisters of Mercy-tape oder das andere Sisters of Mercy-tape durchlaufen ließ, was mich nicht sonderlich störte, weil es unendlich besser war, fünf Tage hintereinander zweimal täglich "This Corrosion" zu hören als den Schulbus nehmen und 30 Minuten pubertierendes Geschrei ertragen zu müssen. Die meisten Verletzungen fügen sich Kinder übrigens in Schulbussen zu. In den drei Jahren morgendlicher Oberstufenschulfahrt lernte ich allerdings nicht nur die Sisters und Andrew Eldritch besser kennen, sondern auch Phillip Boa und die damals und noch Jahre danach hierzulande unbekannten Goo Goo Dolls, die zu der Zeit noch weitaus roher und punkiger aufspielten als in den letzten zehn Jahren. Mit den Goo Goo Dolls reiste ich Million Miles Away über den Road To Salinas und sagte zu ihr There You Are, um ihr zehn Lieder später vor Liebe kummernd Two Days in February vorzuhalten. Kassettenmädchen gab es ja auch. Stuckrad-Barre zum Glück noch nicht, obwohl seine Geschichte über das Kassettenmädchen schon doch eine schöne ist, doch doch.

Es gab auch ganz andere Autofahrer-Kassetten, Kassetten, die nur des Autofahrens willen bespielt wurden, zu deren Musik in Landstraßentempo Freunde eine Landpartie an milden Spätfrühlingssonntagen veranstalteten. Erinnerst Du Dich noch an das Brandloch, das ich überbekifft in Deinen Teppichboden brannte, als wir beschlossen alle sechs Doors-Platten hintereinander zu hören und genüsslich hysterisch lachend Jimbos Drogilyrik rezitierten? Father, I want to kill you, Mother I want to fuck you. Und an die Angst? Angst vor dem elterlichen Stress, wegen neuem Teppichboden und so. Inzwischen bist Du wahrscheinlich genauso spießig wie sie es waren, ich weiß es nicht, weil ich Dich seit zehn Jahren nicht mehr gesehen habe, aber der Spießer in Dir, der lebte damals schon, heimlich und verschlagen, genährt und am Leben gehalten von Deinem Bedürfniss nach Statuserlangung. Und doch war da etwas an Dir, in Dir, Deine Kassetten im gesaugten Handschuhfach haben verraten, worüber Du genüsslich gelacht hast, Deine Lakaien haben verraten, was Du Deinen Freunden nicht erzählt hast.


Ocean wide, ocean wide
Calming down at last
Listening to the changing tides
Drawn to the past




deine lakaien - mindmachine

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sisters - black planet (es war ein Passat, damals, Schule)


sisters - dominion (und das hier kann ich gar nicht laut genug hören)

31 / 01 / 07

Ihre Hand


Marimba und Oud lullen mich ein, geben Händen hinter Tresendünsten den Takt vor, der sie haltlos Ziegenkäse und Salat einrollen lässt. Ich muss noch warten. Schlüpfe durch das Glas in den Türspalt, in dem eine Hand Kartoffeln schält, eine Hand, die geschickt der Frucht die Haut abzieht, dass ich nicht wegsehen kann. Meine Augen liegen auf der Hand, die schält und schneidet, meine Augen greifen die Hand und schälen die Frucht, schneiden das Fleisch, schlagen den Rahm. Hand in Hand. Es ist ihre Hand, ihre Hand, die mir am anderen Morgen von Saxophon und gestrichenem Besen geführt Zucker anbietet, Zucker, den ich nicht will. Ich wollte noch nie Zucker. Als ob sie es vergessen hat, der Worte willen. Worte, Worte, Worte, ein Herz aus Schaum und ein Lächeln im Raum, der nicht uns allein gehört und doch der einzige Raum ist, in dem Schäume nicht zergehen und Träume bleiben, die uns allein gehören.
Die Hand hört auf zu schälen, drückt die Klinke und der Raum zergeht, im Türspalt ein Mann mit schönen Händen.


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Zuletzt aktualisiert: August 19, 00:10

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everything in its right place
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