28 / 02 / 08

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Vor mir sitzen Menschen, einer redet zu ihnen, die Menschen schmunzeln, weil er doch ganz rührig ist, wie er da sitzt und aufsteht und sich wieder hinsetzt, der Professor aus Heidelberg, Anekdoten inklusive. Überstehen kann ich das nicht. Alles ist in Ordnung, leider. Keine Fehler, ich bin überflüssig, absolut.

Ich sitze ganz hinten und durchlaufe die Stadien des Langeweilezyklusses und verliere das Zeitgefühl. Zählen. 1,2,3,4,5,6,7,8 auf der rechten Seite, 1,2,3,4,5,6 auf der linken Seite, nein verzählt, noch einmal. Zwanghaft vergewissere ich mich, überprüfe die Anzahl der Anwesenden, obwohl es keine Rolle spielt, ja, mir kann es egal sein, ich bin der einzige in diesem Raum, dem es vollkommen egal sein kann.
Nichts passiert. Auf dem Display des Handys bewegt sich die Zeit nicht, ich oder alle anderen um mich herum haben aufgehört zu existieren. Nur diese rührig eifrige, gemütlich tranige, fast schusselig wirkende Stimme des einen Menschen da vorne hat überlebt. Ich setze mich ein paar Stühle weiter zur Seite, so dass ich seine Stimme nicht mehr sehen kann, wenigstens das, ich kann diese Stimme nicht mehr sehen, die mit jedem Wort ein Stück meiner Erinnerung raubt und mich dem Vergessen meiner selbst näher bringt.

Ich breche zweimal den Highscore auf meinem Handy. Lautlos, er kann es nicht hören, er redet. Verhaspelt sich, Professor Hastig verhaspelt sich immer öfter. Ich kann nichts tun, wage nicht den Raum zu verlassen, es könnte ja sein, dass. Deswegen sitze ich hier in diesem Raum, vor mir Rücken und Hinterköpfe fremder Menschen, fremder Gedanken. Notizen. Räuspern. Vibrationsalarm. Eine Frau verlässt den Raum, bedacht die Türe leise zu schließen, nicht zu stören. Die Frau kommt wieder, schließt die Tür leise. Ich starre aus den Fenstern.

Nach der Pause, in der ich apathisch zwei Stücke Apfelkuchen zu mir nehme und mich ansonsten unauffällig mache, was nicht schwer ist, da ich mich selbst nicht mehr bemerke, nach der Pause gehe ich nicht wieder zurück und bleibe vor der Tür stehen. Gucke mich um. Gehe umher und berühre die Leinwände an den Wänden: Acryl, religiös motivierter abstrakter Kitsch. In einem Regal die übliche Auslage an Flyern, die ich nicht durchblättere, weil ich mich vor ihnen ekele, Ich weiß längst, was in ihnen steht, ich weiß es noch aus meiner Kindheit als Pfarrerskind, das reicht um zu wissen, was in diesen Flyern geschrieben steht.

Ich halte es nicht mehr aus. Ich streife durch das Foyer, ein unter Hospitalismus leidender Tiger, und denke fast nicht mehr. Shir Khan lese ich in meinem Kopf und bemerke kurz den Wunsch zu töten, einfach so. Sie dort, Ihre Kehle gehört mir, es geht schnell, sehr schnell. Sie werden es gar nicht bemerken.

In einem anderen Teil des Gebäudes passiere ich die offene Tür einer Kapelle und gehe weiter. Der Rest ist noch weniger sehenswert. Mir fällt die Kirche von früher ein, die mit dem grauen ausgemergelten Jesus an dem vergoldeten Kreuz und trete dann doch ein und suche mit meinen Blicken zuerst das Kreuz und finde es nicht: in dieser Kapelle ist nur eine quadratische Tafel an der Wand hinter dem Altar angebracht. Oberfläche: Plastikgold. Struktur erinnert an ein Buch, Bibel womöglich, Heilige Schrift. Ich fasse es an und erhoffe ein Spektakel, Alarmglocken zum Beispiel, aber da ist nur dieses öde Gefühl von Plastik auf meiner Handfläche, das Gefühl verarscht worden zu sein. Kein Wunder, nicht heute und nicht hier.
Das Kreuz steht hinter der Kanzel, ein Rednerpult nur, hinter dem Priester, wenn er predigt.

Ich verbringe die letzte halbe Stunde bewusstlos in einem Sessel vor dem Raum und versuche ein drittes Mal den Highscore zu brechen.

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Zuletzt aktualisiert: August 19, 00:10

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