Fast eine Kindheit


1972 kehrt er nach sechs Jahren mit seiner afrikanischen Frau nach Deutschland zurück, er hat Heimaturlaub und in den Kinos laufen in ausverkauften Vorstellungen Filme mit Titeln wie "Schulmädchen-Report".

Als ich sechs Wochen alt war, wurde ich in ein Flugzeug gesteckt und nach Afrika geschickt. Ganz nach unten. Es dauerte ein paar Jahre um herauszufinden, dass es meine Eltern waren, die mich während meiner Reise begleitet hatten und dass meine Eltern es waren, mit denen ich unter Heiden im afrikanischen Busch lebte, die der weiße Herr Gott gerne unter seine Fittiche genommen hätte. Weil er das nicht ohne weiteres konnte, erklärte sich mein Vater dazu bereit, elf Jahre seines Lebens mit Schamanen und allerlei black magic um das Seelenheil der damals noch in Reservaten gehaltenen Afrikaner zu verhandeln, was ein wenig absurd klingen mag, da der Gott der Kirche meines Vaters ganz zufällig derselbe war, dem in den Kirchen der weißen Afrikaner gehuldigt wurde.
Mich kümmerte das nicht weiter, und ich verbrachte meine frühe Kindheit unbeschwert mit den schwarzen Nachbarjungs beim Wettweitpinkeln und Bäumeklettern, wie es im Rest der Welt wohl auch nicht anders gewesen ist.

Ich wusste jedoch nicht, dass es in Deutschland anscheinend nur weiße Kinder gab, was mich in der ersten Zeit unserer Rückehr etwas irritierte, und ich wusste auch nicht, dass deutsche Kinder Afrika nur aus Tarzanfilmen kannten. Wenn ich erzählte, dass ich in Afrika aufgewachsen bin, wurde ich in harmlos interessierten Fällen gefragt, ob ich mit Lendenschurz bekleidet unter Affen aufgewachsen wäre und ob ich mich an Lianen von Baum zu Baum schwingen könnte. Ich musste das zu meinem Bedauern verneinen, ich hätte ja schon gerne ein paar Kunststückchen am Seil vorgeführt, aber auch in Afrika fahren Familien mit dem Auto. Diese Tatsache verblüffte, noch mehr verwunderte die meisten allerdings, dass meine Mutter keine dunkle Hautfarbe hatte. Die Sache war klar, der Neue in der Klasse konnte nicht in Tarzanland gelebt haben und da Kinder sich nicht gerne ausgeschlossen fühlen, vermied ich es, weiterhin Worte über Afrika zu verlieren und begann nach und nach meine ersten fünf Lebensjahre zu verdrängen.
Sechs, um genau zu sein, die Ehe meiner Eltern hielt nicht, meine Mutter wurde depressiv, Deutschland war so grau. Wenn ich an meine Mutter in der Zeit denke, sehe ich eine von dichten langen dunkelbraunen Haaren eingefasste Sonnenbrille und einen langen schwarzen Mantel, zugeknöpft. Sie ging mit meiner eineinhalb Jahre jüngeren Schwester zurück in das Land, das ich allmählich nur noch in den Graustufen eines Schwarzweiß-Fernsehers wahrzunehmen begann, in denen ein schätzungsweise blonder Johnny Weissmüller mit einem Affen und einer ganz höchstwahrscheinlich blonden Jane unter Elefanten lebte.

Die Briefe, die sie mir schickten, waren Briefe von zwei Fremden und mit der Zeit kehrte die Erinnerung zurück, nicht das Gefühl. Das Gefühl brauchte Zeit. Und es war meine Schwester, auf die ich mich freute, als ich vier Jahre später zum ersten Mal wieder auf einem Flughafen in Afrika stand und nicht wusste, ob ich meine Mutter umarmen sollte.

Manche Dinge brauchen sehr viel Zeit, bis heute. Aber auch in Afrika gibt es Telefone und Internet, stellen Sie sich das bloß mal vor.
NBerlin - Februar 16, 01:06

Das wäre doch deine Chance gewesen den Kindern ganz tolle Geschichten vom Pollon aus dem Urwald zu erzählen...;-)

pollon - Februar 16, 01:12

Na, ob sie die geglaubt hätten? Pollon gabs schließlich nicht im Fernsehen ;-) Im Gegensatz zu Tarzan...
NBerlin - Februar 16, 01:24

Ach einfach am Handlungsstrang von Tarzan orientieren ein paar andere Namen vergeben und schon hätten sie alle dafür gestimmt das der nächste Wandertag zu dir nach hause führt. ;-)
pollon - Februar 16, 01:29

Ja, das wäre nicht allzu schwierig gewesen bei den so komplexen Handlungen ;-) Und bei den Namen sicher auch nicht. Aber nicht zu mir nach Hause, da wäre zu wenig Platz für die Elefanten gewesen oder für den Elefantenersatz.
C. Araxe - Februar 16, 07:59

Anders sein ist nie leicht. Vor allem, wenn man es selbst gar nicht sein will.

pollon - Februar 16, 09:13

So ist das eben... Sowas prägt einen schon. Andererseits kann man sich die unschönen Dinge auch wiederum zu Nutzen machen, wenn man lernt damit umzugehen, auch wenn manches immer offen bleiben wird..
C. Araxe - Februar 16, 18:27

Wem sagen Sie das ...
pollon - Februar 16, 21:54

Stimmt... :-) Und ich hoffe, wenigstens Ihre Telefonleitung hat keinen Wackelkontakt. Meine hat den so ab und zu, manchmal. Es ist nun mal so.
C. Araxe - Februar 16, 23:14

Ach, darüber wäre ich manchmal sogar ganz froh.
So richtig ist es bei mir beispielsweise noch immer nicht angekommen, dass ich einen Vater habe. Und dass der z. B. deswegen anruft, weil er ein Handy-Angebot hat für 0 Euro ohne Vertrag hat. Und noch viel mehr. Es ist schon sehr seltsam plötzlich einen Vater zu haben, der einen auch anruft.
pollon - Februar 17, 02:33

Väter sind seltsam. Meiner hat sich gegenüber meiner Schwester auch nicht sonderlich anders verhalten und gleichzeitig hat er darunter gelitten. Ja, meine Mutter existiert für mich schon, aber rein gefühlsmäßig eben nicht als Mutter. Nunja, inzwischen ist das auch nicht mehr so relevant, früher war es das schon.
Und Wackelkontakt war eher symbolisch gemint.. ;-)
pollykrohm - Februar 16, 22:50

afrika und dumme fragen... dazu fällt mir eine seite ein, über die ich mich mal ziemlich schlapp gelacht hab... hier ist sie, falls nicht schon bekannt...

pollon - Februar 16, 23:01

Unfassbar...! Zum Glück sieht mich gerade niemand, wie ich hysterisch lache... Da heißt es doch immer, das Internet bildet und so. Wahnsinn, werds mal weiterleiten... Kann mich gar nicht beruhigen.

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