Crosstown Traffic
Und mal wieder überlege ich nach Kreuzberg zu ziehen, als ich am Görlitzer Bahnhof in den alten linken Westen Berlins eintauche, weil ich am vorigen Abend mein Telefon auf dem Sofa liegengelassen habe. Oder es ist mir durch das Hosenbein entglitten, das passiert auch manchmal, wegen der Löcher in den Taschen, jedenfalls habe ich keine Erinnerung daran.
Jedenfalls ist es immer ein Unterschied durch Kreuzberg und überhaupt durch Westberlin zu spazieren, weil einem dort, im Westen, nicht nur Deutsche, Russen und eingeostete Vietnamesen begegnen. Es gibt dort, im Westen, Menschen aus exotischen Ländern, die Türkei oder Portugal heißen, und sie leben auch dort, im Westen. Tagsüber fahren manche von ihnen in den Osten, wo sie in kleinen Läden Tabakwaren und Naschzeugs verkaufen und abends kehren sie wieder zurück nach Moabit oder Neukölln, weil sie dort vor vierzig Jahren verwurzelt worden sind, wie die Vietnamesen im Osten der Stadt.
Manchmal will ich hier weg, weil es mir zu ostig ist, zurück nach Westdeutschland, das gleich hinter der Oberbaumbrücke beginnt, nachdem man sich zwanzig Minuten mit der M10 durch Prenzlhain gequält hat, das sich doch so weltoffen gibt und mir in seiner konstruierten Paradisiät doch immer fremd bleiben wird.
Bin aber letztendlich zu bequem, dort unten ist der Kaffeeladen und dahinten wohnt die und dort der, bei denen ich mal eben vorbeigucken kann und da sind vele kleine Plätze und Dinge, die ich missen würde, wenn ich dann wieder Westdeutschland hinter der Oberbaumoberbrücke wäre.
Auf der Wiener Straße ein Déjà Vu, die Frisbeescheibenfrau mit Hund vor drei, vier Jahren im Park, nun ohne Frisbeescheibe. Vielleicht ist es ihr auch zu ostig geworden und vielleicht ist sie es auch gar nicht, und ich gehe weiter und hole mein Telefon, und eine halbe Stunde später kaufe ich in einem arabischen Einraumsupermarkt eine Dose Hundefutter und kippe es auf die Straße, weil die kleine noch nichts gegessen hat. Einer will schon was sagen, aber sie leckt den Beton doch so schön blitzblank, nichts bleibt übrig, also guck nicht so blöd.
Ein paar Straßen weiter dann sonniger Spreeblick mit Oberbaumbrückenpanorama, vor dem Menschen gegenseitig Fotos machen und lachen und sich gern haben.
Und ich, ich überquere mal wieder die Spree und gehe noch ganz bis zum Frankfurter Tor, wo aus der Karl-Marx-Allee die Frankfurter Allee wird und finde die M10 gerade gar nicht so schrecklich und weiß noch nicht, dass ich in der nächsten Nacht aus dem Fenster einer Kreuzberger Kneipe auf einen LKW schauen werde, auf dem der Name Lehmann gechrieben steht. Lehmann, mit Ausrufezeichen.
element of crime - nur so
pollon - April 8, 16:41