streets

08 / 04 / 07

Crosstown Traffic


Und mal wieder überlege ich nach Kreuzberg zu ziehen, als ich am Görlitzer Bahnhof in den alten linken Westen Berlins eintauche, weil ich am vorigen Abend mein Telefon auf dem Sofa liegengelassen habe. Oder es ist mir durch das Hosenbein entglitten, das passiert auch manchmal, wegen der Löcher in den Taschen, jedenfalls habe ich keine Erinnerung daran.

Jedenfalls ist es immer ein Unterschied durch Kreuzberg und überhaupt durch Westberlin zu spazieren, weil einem dort, im Westen, nicht nur Deutsche, Russen und eingeostete Vietnamesen begegnen. Es gibt dort, im Westen, Menschen aus exotischen Ländern, die Türkei oder Portugal heißen, und sie leben auch dort, im Westen. Tagsüber fahren manche von ihnen in den Osten, wo sie in kleinen Läden Tabakwaren und Naschzeugs verkaufen und abends kehren sie wieder zurück nach Moabit oder Neukölln, weil sie dort vor vierzig Jahren verwurzelt worden sind, wie die Vietnamesen im Osten der Stadt.

Manchmal will ich hier weg, weil es mir zu ostig ist, zurück nach Westdeutschland, das gleich hinter der Oberbaumbrücke beginnt, nachdem man sich zwanzig Minuten mit der M10 durch Prenzlhain gequält hat, das sich doch so weltoffen gibt und mir in seiner konstruierten Paradisiät doch immer fremd bleiben wird.
Bin aber letztendlich zu bequem, dort unten ist der Kaffeeladen und dahinten wohnt die und dort der, bei denen ich mal eben vorbeigucken kann und da sind vele kleine Plätze und Dinge, die ich missen würde, wenn ich dann wieder Westdeutschland hinter der Oberbaumoberbrücke wäre.

Auf der Wiener Straße ein Déjà Vu, die Frisbeescheibenfrau mit Hund vor drei, vier Jahren im Park, nun ohne Frisbeescheibe. Vielleicht ist es ihr auch zu ostig geworden und vielleicht ist sie es auch gar nicht, und ich gehe weiter und hole mein Telefon, und eine halbe Stunde später kaufe ich in einem arabischen Einraumsupermarkt eine Dose Hundefutter und kippe es auf die Straße, weil die kleine noch nichts gegessen hat. Einer will schon was sagen, aber sie leckt den Beton doch so schön blitzblank, nichts bleibt übrig, also guck nicht so blöd.
Ein paar Straßen weiter dann sonniger Spreeblick mit Oberbaumbrückenpanorama, vor dem Menschen gegenseitig Fotos machen und lachen und sich gern haben.

Und ich, ich überquere mal wieder die Spree und gehe noch ganz bis zum Frankfurter Tor, wo aus der Karl-Marx-Allee die Frankfurter Allee wird und finde die M10 gerade gar nicht so schrecklich und weiß noch nicht, dass ich in der nächsten Nacht aus dem Fenster einer Kreuzberger Kneipe auf einen LKW schauen werde, auf dem der Name Lehmann gechrieben steht. Lehmann, mit Ausrufezeichen.


element of crime - nur so

05 / 01 / 07

Lied 11 (reprise)


Nicht die Bank im Park, dafür Café. Ich hatte fast ein Monster erwartet und rede mir Dir, als wäre es erst gestern gewesen. Die Zwischenzeit umschiffen wir mal lieber, ich weiß eh zuviel über sie, sogar mehr als mir lieb ist, wenn ich das mal so denken darf. Wobei, Du weißt, dass ich weiß - belassen wir es doch dabei, es geht mich nichts an. Und im Grunde brauche ich Deine Version der Zwischenzeit nicht, weil ich Dich kenne und Deine Version kenne. Schön Dich wieder zu sehen, Mann. Ich hatte ehrlich gedacht ein wenig Schiss davor, weil ich der Gegenversion zu sehr zugehört habe. Der es nun langsam besser geht. Inzwischen weiß ich, dass Du Dir sogar sehr selbst im Wege stehen kannst und selbst Du weißt es inzwischen von Dir selbst.

Gemeinsamer Freund zu sein ist nicht immer einfach, erst recht nicht, wenn man beide Versionen verstehen kann.

18 / 11 / 06

Lied 11

Erinnerst Du Dich noch an Lied 11? Tagelang nur Lied 11 aus den Aktivboxen schummernd, Du meintest, dass es auch von Sade sein könnte. Lied 11 war eine Woche lang Dein akustisches Bekenntnis, Deine Soundwelt, in der Du gearbeitet, geliebt und gekifft hast. Ich vermisse Deinen Biss, mit dem Du all den ganzen ExistenzScheiß weggepöbelt hast und dabei Deiner Selbst niemals im Weg standest. Du weißt, dass ich das an Dir immer mochte, so hart Du mit uns anderen sein konntest, so hart warst Du auch mit Dir. Keine Kompromisse, nicht für Dich. Die Welt hatte sich Dir zu fügen, wahrscheinlich war es das, was uns verband, die scheiß Welt, alles Asis und Penner, jaja, und Du und auch ich mitten unter ihnen. Ich weiß, was Dich an mir stört. Und genau das ist der Unterschied zwischen uns. Du verachtest Schwäche - und ich weiß, dass auch Du schwach bist.

Treffen wir uns nochmal im Park auf der Bank?




bohren und der club of gore - midnight radio: lied 11

04 / 11 / 06

Briketts

Meine Mitbewohnerin weckt mich zwischen fünf und sechs. Lautlos hechelnd und zitternd trappelt sie über die Dielen. Will das nicht wahrhaben, schlafe doch erst drei Stunden, will nicht raus in den kalten Regen und finde mich Minuten später im Morgengrau der Straße, die geduldig meine müden Schritte erträgt. Im vierten Stock eines Hauses, in dem vor eineinhalb Wochen noch eine Familie Zusammenhalt, Zukunft aber nicht Zufriedenheit zelebrierte, suche ich nach Licht und blicke nur in den blinden Spiegel eines Fensters an einem Novembermorgen, hinter dem sie vielleicht gerade von dem fordernden Lärm auf Dielen aufgetürmter Autos geweckt wird. Kleine Jungs sind so am frühen Morgen, kenne ich doch noch. Vorm Bäcker kauert der Hund einer flüchtigen Bekannten, meine Mitbewohnerin schlängelt sich ihm wackelnd und verzückt entgegen, gibt Küsschen, die etwas mürrisch erwiedert werden, und ich nicke ihr kurz zu, erinnere mich an die Zeit, als die beiden noch miteinander gespielt und gerauft haben und uns einen Grund lieferten miteinander zu reden.

Wieder oben lege ich Briketts auf aschebedeckte Glut, die unter dem Gewicht der Kohle bricht und zerfällt und nicht erlischt. In der Küche kochendes Wasser, das sich über Kaffee und Hand ergießt, doch dieser Schmerz wird durch die Stones geschockt, die das Gelaber des frohnatürlichen Affenpärchens im Radio mit glühend und verzehrend schneidender Mundharmonika unterbrechen; Briketts auf die Glut. Glut, die zerbricht und doch nie erlischt. Ich mag die Stones nicht so richtig, doch jedes einzelne Wort dieses Liedes schickt mich weit, weit weg. Worte, die viel zu stark sind und mich doch nicht wieder ins Bett gehen lassen. Kann das Radio nicht ausmachen und beginne diesen Text zu schreiben, als Charlotte Gainsbourg vorbeihuscht und noch ein Brikett nachlegt. Glut, die nicht erlischt.


rolling stones - love is strong
charlotte gainsbourg - the songs that we sing

18 / 09 / 06

Und am Ende sogar noch eine Moral

Bin eben fast gestorben, kein morbider Scherz. Diese Niederflurstraßenbahnen sind inzwischen derart tückisch in ihrer Lautlosigkeit, dass ich sie in durch laue Spätsommerabendluft begünstigter Verträumtheit nicht bemerke. Ich dachte gerade über eine Songzeile von Sonic Youth nach, in der Thurston Moore so schön angekotzt die Worte fucked up in Cleveland von sich gibt und ersetzte Cleveland erst durch Lichterfelde-Süd, wo man um diese Uhrzeit wahrscheinlich wirklich upgefucked ist, dann durch Steglitz, was lautmalerisch nicht ohne Reiz ist. Fucked up in Shteaklits - herrlich.
Ich kaute noch auf dem Shteak herum, als das Klingeln der Warnbimmel der Straßenbahn mich die Augen erheben ließ und mich unmissverständlich über mein in Kürze bevorstehendes Ableben informierte. Gut, dass sie nicht defekt war, es hätte eine ekelhafte Szene gegeben, so eine wie in Frozen Land , den ich mir gestern angeschaut habe, in der die sinnesgeschwächte Polizistin sich auf den Gleisen verfängt. Guter Film, erinnert an L.A. Crash, kommt aber ohne den Schmuck einer amerikanischen Großproduktion aus. Wohlbehalten sitze ich nun am Tisch und schmunzele belustigt über die Geste des Straßenbahnfahrers, die mich eindeutig der Idiotie bezichtigte und stelle fest, dass ich diese Geste in Gedanken tagtäglich auf so manchen vermeintlichen Idioten anwende.

05 / 09 / 06

dönermädchen

Das Dönermädchen ist nicht mehr da. Zuletzt sah ich es vor dem Spielautomaten stehen, vor dem es eine lallende Einweisung in die Geheimnisse des erfolgreichen Spielens von einem bärtigen Mann undefinierbaren Alters bekam. Das Dönermädchen wurde Tag für Tag bzw. Abend für Abend von seiner Mutti in den Dönerladen mitgeschleppt, wo es zu essen und zu trinken bekam. Dönermädchen war schätzungsweise 8 oder 10 jahre alt und sah extrem ungesund aus, was unter Umständen auf seine Ernährung zurückzuführen war. Während also das Dönermädchen gelangweilt die paar Tasten des so imposant blinkenden Spielautomatens drückte, saß Mutti in der Regel schon mit dem zweiten 'Berliner Kindl' (Bier) am Tisch gleich hinter dem Eingang und ließ die Seele baumeln. Ich weiß nicht, wieviele Döner dieses Mädchen täglich essen musste, weil Mutti nicht kochen wollte, und ich weiß nicht, ob inzwischen nicht doch das Jugendamt eingeschaltet worden ist. Ich hoffe es.

03 / 09 / 06

schweiß

Hurtig und bis in die entlegensten Muskelfasern mit Elan gestopft, verlasse ich das Haus und passiere den Dönerladen. Auf den ersten Blick nichts ungewöhnliches zu sehen, das immer gleiche Inventar an hochverfetteten Pressfleischopfern döst kauend auf den Bänken, hebt gelegentlich die rotgesichtigen Köpfe und schaut mich aus verödeten Augen an. Alles wie immer also, nicht eines weiteren Gedankens wert, doch als ich vorbeigehe, trifft mich der Atem des Dönerladens mit heimtückischer Wucht. Eine Schweißwolke springt von einer Bank, fällt mich an und ringt mich nieder, es ist einfach zum Kotzen. Ich kann mich nicht wehren, taumele benommen weiter, will nur noch weg von hier, der Geruchshölle entkommen und meine Atemwege nicht länger den Biskin- und Schweißwinden aussetzen. Und ich schaffe es, mit letzter Kraft entwinde ich mich den Klauen menschlicher Schweißdünste und werfe im Weggehen einen Blick auf die Schweißquelle: am Ende der Tischreihen sitzt ein Frau. Sie sitzt regungslos da und starrt auf den Döner in ihrer Hand. Ahnt sie, dass ihre Synapsen von Sekunde zu Sekunde verfetten? Nein. Sie beißt noch einmal herzhaft ab, und in ihren Äuglein strahlt es schwach aber zufrieden und satt. Ich rauche erst mal eine - meine Atemwege müssen desensibilisiert werden.

31 / 08 / 06

volle pulle

Für gewöhnlich unerfreuliche Autounfälle können von höchstem Entertainmentwert für Zaungäste sein. Ich gehe am Dönerladen vorbei, als das dumpf-machtvolle Geräusch eines Auffahrunfalls mich aus meiner Abwesenheit reißt. Nichts weiter passiert, kein Personenschaden, aber volle Pulle Krach auf den Bänken vor dem Dönerladen. Ungefähr 5 abgefüllte Dauergäste des Dönerladens gröhlen schmatzend und spuckend Bier und Fleisch schluckend, als hätte soeben der Biergott dem Bionadengott einen Tritt gegeben und beömmeln sich über den Blechschaden in authentischster Schadenfreude. Volle Pulle, Volle Pulle, Alter, immer volle Pulle. Haste gesehn? Volle Pulle!

29 / 08 / 06

Was ich will

Fette betrunkene Frau:
- ich habe meine 78 kilo und das reicht mir

Fetter Mann sagt etwas zu ihr, das sie anscheinend missversteht.

Fette Frau, zunehmend lauter werdend, das beschwichtigende Gerede des fetten Manns ignorierend:

- ich kann fressen was ich will
- ich fresse jetzt was ich will
- soweit kommts noch, dass ich mir verbieten lasse, was ich fresse
- ich fresse, was ich will
- ich kann alles fressen, was ich will

Fettwind

Der Dönerladen. Unweigerlich kommt hier vorbeigelaufen, wer in die Tram einsteigen oder auch nur die Kreuzung überqueren will, wie auch immer, er lauert träge und riechend wie ein alter fettgefressener Lurch im Schutze eines entsetzlich alten Steines. Bewegt sich der Lurch, öffnet er sein Maul, dringt der Geruch seines Atems in Kleiderfalten und Hautporen, in Haarfasern und Gehwegritzen. Geh weg, scheinen die Parasiten zu gröhlen, die unter der Markise sich mit Pressfleisch aus Berlin-Brandenburg vergiften, deren Häute die Konsistenz eines übergaren Leberkäses angenommen haben und deren Haare von Zigarettenrauch und schalem Bier imprägniert keiner Pflege bedürfen.
Fett - überall Fett. Halte den Atem sage ich zu mir, wenn der Wind das Grillfett zu mir trägt, wenn der Fettwind sich um mich und auf meine Kleider legt. Ich kann nicht anders, habe keine Alternative. Die Straße zu überqueren ist zwecklos, denn ich kann ihm nicht entkommen. Wenn es Sommer ist und der Wind ungünstig steht, rieche ich den Geruch von Pressfleisch, den der Fettwind durch die geöffnete Fenster trägt.

Status

Online seit 6449 Tagen
Zuletzt aktualisiert: August 19, 00:10

...
building buildings
everything in its right place
forget everything and remember
girl boy
nothing
offbeat
speed of sound
streets
the village
time, it's time
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